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Georgi Guraspashvili erzählt von einem fernen, nahen Land
Reinhard Beyer, Chemnitz und Dresden.

Georgi Guraspashvili, der Maler aus Tbilisi, erzählt in der Sprache seiner Bilder von der Liebe und von der Lüge, vom Glauben und vom Verrat, von der Heiterkeit des Seins wie auch von dessen Abgründen, er erzählt von der Kraft des Menschlichen und von seinem Makel; vor allem aber erzählt er dabei immer auch von seiner Heimat, von seinem Land Sakartwelo – Georgien. Was wissen wir von diesem fernen Land Georgien, gelegen südlich der hohen Berge des Kaukasus? Wer unter den Menschen in der Mitte Europas hat schon vom großen georgischen Dichter Rustaweli, vom Schriftsteller Zereteli oder dem Maler Pirosmanischwili gehört? Und wer kennt aus eigener Anschauung den Kasbek, den höchsten Berg Georgiens, an dem nach der antiken Sage Prometheus festgeschmiedet war, die Höhlenklöster von Wardsia oder die Kirche Sweti Zchoweli in der alten georgischen Hauptstadt Mzcheta?

Wir müssen eingestehen, in der Regel nur wenig von Geschichte und Kultur Georgiens zu wissen. Dem Reisenden, der das Land auf der Südseite des Kaukasus durchstreift, wird dies mitunter dann besonders bewußt, wenn er verblüfft wird durch die unter vielen Georgiern verbreitete Kenntnis und Wertschätzung der eigenen, der deutschen Kultur. Mir selbst ist es widerfahren, daß ein Jäger in den Bergen Chewsuretiens mir, dem Gast zu Ehren, Gedichte von Heinrich Heine deklamierte, inmitten des wilden Gebirges, fernab von Stromleitungen, noch ferner der nächsten Buchhandlung.

Nun ist die Asymmetrie in der wechselseitigen Wahrnehmung verschiedener Kulturkreise nichts Außergewöhnliches. Was Georgien anbelangt, so sollten wir das Bewußtwerden dieser Asymmetrie durchaus als eine Chance, als Ansporn, als Impuls, als Einladung zu einer Entdeckungsreise begreifen. Man kann mit der Entdeckung Georgiens zunächst auf bequeme Weise in Deutschland beginnen: Seit vielen Jahren stellt Georgi Guraspashvili hierzulande seine Bilder aus. Es empfiehlt sich unbedingt, ihn selber zu Wort kommen zu lassen, ihn nach diesen Bildern und nach den Geschichten dahinter zu befragen. Erst in der persönlichen Begegnung mit Georgi Guraspashvili, erst durch seine einzigartige und unnachahmliche Erzählweise tut sich dem Betrachter der ganze Hintergrund, das ganze Kaleidoskop kaukasischer Sitten und Leidenschaften auf. Man wird alsbald erkennen, daß man es nicht nur mit einem fesselnden und humorvollen Erzähler zu tun hat, der auf ein schier unerschöpfliches Füllhorn von Anekdoten zurückgreifen kann, und nicht nur mit einem profunden Kenner der kaukasischen Kulturgeschichte. Nein, Georgi Guraspashvili offenbart sich in seinen Bildern wie auch in seiner Erzählkunst vor allem als ein warmherziger, wissbegieriger und nachdenklicher Mensch. Eine Fähigkeit ist ihm dabei besonders behilflich: er spürt sehr schnell und sehr feinsinnig, wann und ob ein Zuhörer seine Aufmerksamkeit abwendet, und ob er vielleicht der in wechselnder Sprache »georgisch, deutsch, russisch, französiert« vorgetragenen Erzählung nicht mehr folgen kann. Dann nimmt er den Zuhörer geduldig bei der Hand, und überwindet die Sprachbarriere mit seiner ausdrucksvollen Gestik oder mit Hilfe einer schnell entworfenen Skizze. Ihm geht es nicht um Selbstdarstellung, sondern um die Verständigung, um die Vermittlung von Botschaften. Er ist an Rückkopplung interessiert. Der Blick des Künstlers hilft ihm dabei, die Gesten und die Mimik seiner Gesprächspartner sensibel zu beobachten.

Georgi Guraspashvilis umfangreiches Œuvre umfasst unterschiedliche Stile, Techniken und künstlerische Ausdrucksformen. Wenn man es über Jahre verfolgt hat, so lassen sich verschiedene Phasen und Perioden erkennen, welche nicht zufällig mit den tiefen Verwerfungen der georgischen Gesellschaft innerhalb der vergangenen zwei Dekaden korrelieren. Georgi Guraspashvili liebt seine Heimat, und so leidet er auch mit ihr. Als zu Beginn der 9oer Jahre des vorigen Jahrhunderts Bürgerkrieg und die Auflösung sozialer Strukturen über Georgien kamen, widerspiegelt sich dies auch in Form und Farbgebung seiner Arbeiten aus dieser Zeit. Seine erste Ausstellung in Deutschland, welche 1995 in Chemnitz stattfand, war geprägt von Arbeiten aus dieser Phase. Das zugleich düstere wie auch eindrucksvolle Bild »Sakartwelo« machte die Spaltung und Zerrissenheit Georgiens anschaulich. Es war eine Zeit, in der mein Freund Georgi seine Studenten im kalten Tbilisier Winter um einen Ofen in seinem Atelier versammelte, um bei Kerzenschein (der Strom war damals fast immer abgestellt) mit ihnen zu arbeiten – mit der Kunst gegen die Resignation, gegen die Verbitterung, gegen die Gewalt. Auf vielen Arbeiten aus dieser schwierigsten Zeit der jüngeren georgischen Geschichte sind Kirchen dargestellt oder religiöse Motive zitiert, gleichsam als Ausdruck der Hoffnung, die Besinnung auf die jahrhundertealten christlichen Traditionen und Wurzeln möge der Gesellschaft wieder Stabilität und Einigkeit vermitteln und den gebeugten Menschen ihre Würde wiedergeben.

Georgien nimmt seit einiger Zeit neue Wege, es entsteht neue Hoffnung und eine neue Aufbruchsstimmung. Es scheint fast, als ob Georgi Guraspashvili mit seinen Schaffen diesen Aufbruch bereits vor Jahren antizipiert hat. Seit er regelmäßig Gast in Deutschland ist, haben auch seine Arbeiten eine neue Farbigkeit und Frische der Motive gewonnen. So, wie es in den Toasts an einer traditionellen georgischen Tafel Sitte ist, haben nun auch seine Arbeiten ihre Ausgewogenheit wiedergefunden: im Wechsel zwischen Nachdenklichkeit und Sinnlichkeit, Melancholie und Humor, Derbheit und Poesie. Seine feine Ironie zeichnet sich dadurch aus, daß sie niemals verletztend wirkt, oftmals aber die eigene Person zum Objekt hat. Wenn etwa drei Freunde als beieinandersitzende pralle Mehlsäcke dargestellt sind, ein Grautier mit angedeutetem menschlischem Barthaar unter der Mühsal des Lebens und der Last seines Karrens ächzt (die Fracht besteht aus einer schönen Frau) oder ein sympathischer Stier mit den Augen rollt und von der Liebe träumt – wer Georgi Guraspashvili und seine subtile Form der Selbsironie kennt, wird ihm in vielen Sujets seiner Arbeiten wiederbegegnen.

Ich bin immer wieder erstaunt, wie mein Freund Georgi, dem ich vor über 20 Jahren im Kaukasus erstmals begegnet bin, sein Anliegen, kulturelle Brücken zu bauen, das Eis der Fremdheit zu brechen und von seiner Heimat zu erzählen, in leichte, ansprechende und überzeugende Formen verpacken kann. Denn eines ist gewiß: Seine Berufung ist nicht nur die des Malers, sondern vielmehr die eines Botschafters und Sendboten aus dem Kaukasus.

Wer das Glück hat, den Künstler, den Botschafter, den Menschen Georgi Guraspashvili kennenzulernen, für den rückt das vormals ferne, exotische Land in unmittelbare Nähe. Georgien ist dann nicht mehr eine ferne und abstrakte Brücke zwischen Orient und Okzident, sondern wird zu einem geliebten Nachbarn und Freund.

Reinhard Beyer, Chemnitz und Dresden.